Jannes Text zur Abi-Verabschiedung 2024

Am 5. Juli fand die feierliche Verabschiedung der Abiturientinnen und Abiturienten statt.

Janne Kogge trug einen Text vor, der vom Publikum in der Aula mit Begeisterung aufgenommen wurde. Mit Jannes freundlicher Genehmigung veröffentlichen wir ihn hier.

Christian Stegmann

Irgendwo dazwischen

Wir sind heute hier, weil nichts für immer ist
nichts kann für immer sein

denn irgendwo
zwischen kleinen Menschen und großen Ränzen
zwischen Klassenräumen und Zukunftsträumen
zwischen alles unter Kontrolle und auf der Suche nach Sinn
zwischen fast erwachsen und doch noch ein Kind
zwischen dort und jetzt sind wir alt geworden

Wir sind alt genug,
um heute hier zu stehen
um das Kapitel Schule abzuschließen
um verdammt nochmal den Sommer
und alles was dann kommt zu genießen

Bevor das passiert,
will ich nur auf den Weg mitgeben
egal wie es war die Zeit hier zu erleben
wir haben selbstverständlich fürs Leben gelernt
wie weit ist der Punkt von der Ebene entfernt
das könnte man ja wissen wollen
in ‘nem Bewerbungsgespräch oder auf dem ersten Date.
und ich kann euch sagen,
nicht verzagen, Hesse fragen
das wäre jetzt zumindest die erste Anlaufstelle
und nur für alle Fälle, das Mitochondrium ist das Kraftwerk der Zelle.
Das ist doch Wissen, das begeistert die Massen.
Wer braucht schon Steuern?

Aber das war ja nicht alles,
ich mein in 8 Jahren
in einer Ewigkeit,
die gar nicht mehr so ewig scheint, haben wir so viel erlebt.

Wir haben Unternehmen gegründet
Bunsenbrenner angezündet

War’n manchmal interessiert
auch mal engagiert
und selten inspiriert
haben mit Kurven diskutiert
durch Polynome dividiert
von iPads invadiert
über die Schöpfung sinniert,
gelernt dass man priorisiert
Shakespeare inszeniert
sind zu Aldi und Netto stolziert
und klar, wir haben das Schneeballwerfen mit dem Abschreiben der Schulregeln reflektiert.
Wir haben funktioniert
war’n Schlafmangel, nur personifiziert
haben resümiert, komprimiert, kapituliert und das Ende anvisiert
naja, ich glaub ich hab selbst noch nicht ganz realisiert, dass das jetzt vorbei ist.

Und wir haben abgeleitet und abgelitten
über das Abimotto gestritten

Die 9. /10. Stunde verflucht
den Sinn in Woyzeck und Faust gesucht
und vielleicht auch einfach nicht gefunden

Aber Freunde haben wir gefunden
und uns
überwunden
zwischen geistreichen Stunden
und jetzt kann ich sie zählen …
die letzten Sekunden

Ich glaub, es wird Zeit, wir legen bald ab
das Schiff sticht in See, die Zeit die ist knapp
und ich packe meinen Koffer.

Ich packe meinen Koffer und nehme mit:
all diese Erinnerungen und die werden irgendwann verblassen
aber noch nicht jetzt
keine Sorge
ich werd ja wohl aufpassen
denn nur rein hypothetisch,
ich werd’s dann wohl wissen
ich könnte das alles auch bald schon vermissen
mich zurücksehnen
versuchen zurückzudrehen
zu Kindheitsproblemen
Und bevor ich jetzt sentimental werde,
vielleicht nehme ich noch mit…
Daten zur Wiedervereinigung
und
eine Bundesjugendspielteilnahmebescheinigung
Wer weiß, vielleicht braucht man die ja nochmal.

Und ihr, ihr könnt ihn alle packen, euren Koffer
mit Feedbackrunden und Seelenheilstunden
Mit der 10 Minuten Playmobilzusammenfassung von der Lektüre,
die du eigentlich vor 2 Wochen hättest beenden müssen?
mit Tangenten, als ob die dich tangieren
mit 13 Uhr 20 und 8 Uhr zehn
mit der Trägheit als Gesetz
mit Klokabinenkritzeleien
mit plötzlich bei der Lehrkraft zuhause gechillt
mit Lachanfällen im Unterricht
und du packst ihn voll mit Weihnachtskonzerten
mit dem unerfüllten Traum von einem Oberstufenraum
mit Klassenfahrten
Kopenhagen, Bayern, Wien
mit diesem Koffer wirst du weiterziehen

und vielleicht ausziehen,
um BWL zu studieren
eine Ausbildung probieren
Kinder in den Staaten dressieren
oder ganz exotisch nach Australien fliehn

Denn, ich weiß ja nicht, wie es euch geht
aber ich werde gefragt
am Essenstisch, im Supermarkt,
ob ich denn wohl weiß, was ich mit meinem Leben wag
also klar doch, sicher, das sollte man hoffen
jetzt nach dem Abi, da hab ich nen Plan
davon wäre man auf jeden Fall ganz angetan
denn schnell, nur zu
das Leben wartet nicht
und deine Zukunft zerbricht,
wenn man im curriculum vitae einen Leerlauf sähe

Vielleicht ist das falsch und vielleicht auch naiv,
wenn ich jetzt einfach so in die Aula hinein rief
du bist okay grad, so wie du bist.
Ja, lasst mal an uns selbst glauben!
Denn vor mir sitzen…

Mediziner, Pädagogen
Polizisten, Archäologen
Künstler, Musiker, Autoren
Baristas und Lektoren
Sänger, Tänzer, Influencer
Pfleger und Fliesenverleger
Friseure und Monteure
und alles irgendwo dazwischen

Ob Dichter und Athleten
Sportler und Poeten

du könntest Grenzen überwinden
dich selbst dabei erfinden

Ich glaub, du könntest alles sein und alles werden
und vielleicht auch mehr als nur Konjunktive.
Deshalb hör nie auf zu leben, aus Angst es falsch zu tun,
denn Fehler die sind menschlich
und menschlich das bist du
Ja, zwischen all den Karriereleitern hast du so viel Platz zum Scheitern.
Und Ich glaub, es ist nie zu spät, das Leben neu zu denken
die Wege umzulenken

Und ja, das Abi mag das Ziel gewesen sein
und trotzdem waren wir davor nicht klein.
Lasst uns nicht nur zwischen Deadlines leben
und das auch an alle hier im Raum
ihr habt nur ein Leben
lebt euren Traum
so ein bisschen zumindest
Das fänd’ ich schön.

Denn das Leben wird weitergehen
auch ohne Schule
oder vielleicht gerade deswegen
Und ihr habt nur ein Leben, also nutzt die letzten Momente in dieser Konstellation
um euch nochmal zu sagen, wie viel ihr euch bedeutet
um euch nochmal anzulächeln
um euch zu entschuldigen
oder um aufeinander zuzugehen
auf Menschen, mit denen man doch nochmal gerne geredet hätte

Und vergesst dabei nicht:
Wir strömen heute mit Zeugnis in der Hand aus dem Gebäude raus
aber Noten machen uns als Menschen nicht aus.
Bewahrt euch euer inneres Kind, auch noch mit Falten.
Und seid niemals auf dem rechten Auge blind,
wenn sich Gesellschaften spalten.

Und wir, wir sind gewachsen, vielleicht noch nicht so ganz erwachsen
zwischen alles unter Kontrolle und auf der Suche nach Sinn
zwischen fast erwachsen und doch noch ein Kind
irgendwo dazwischen

Und wir sind hier, weil nichts für immer ist
nichts kann für immer sein darum
Abi heute Captain Morgan
vor uns ein Meer der Möglichkeiten
Hört ihr es tosen?
dazwischen die letzten Sekunden
in diesen 4 Wänden
zwischen winkenden Händen
Abi heute
Wir sind vielleicht Captain Morgan
Und die Zeit ist Rum!

Janne Kogge